Pedro Lemebel
Performancekunst in der Diktatur
Pedro Lemebel (1952-2015) war ein chilenischer Performancekünstler und Autor. Er schrieb einen Roman und betätigte sich vor allem als Verfasser von crónicas (kurzen Essays für Zeitungen). Gemeinsam mit Francisco Casas bildete er das Performancekollektiv Las Yeguas del Apocalipsis (zu Deutsch: die Stuten der Apokalypse), das die Transition Chiles zur Demokratie begleitete und immer wieder Kritik an den gesellschaftlichen Verhältnissen übte. Zu Lemebels bekanntester Performance zählt die Intervention im Jahre 1986 an der Estación Mapocho inmitten Santiago de Chiles, wo sich viele linke Gruppen versammelt hatten. In seinem „Manifiesto (Hablo por mi diferencia)“ kritisierte Lemebel die Heteronormativität und Queerfeindlichkeit der chilenischen Linken. In diesem Manifest vermischt sich die historische Perspektive mit einer Utopie für die Zukunft: „Hay tantos niños que van a nacer / Con una alíta rota / yo quiero que vuelen compañero / que su revolución / Les dé un pedazo de cielo rojo / Para que puedan volar.“
Queer Theory aus Lateinamerika
Während er in Europa noch immer wenig wahrgenommen wird, kann Pedro Lemebel als Wegbereiter der lateinamerikanischen Queer Theory verstanden werden. Mit seinen crónicas wählte Lemebel eine Form zwischen Literatur und Theorie und formulierte in diesen eine lateinamerikanische und autochthone Perspektive auf queere Zugehörigkeit. In seinen Interviews zeigte sich Pedro Lemebel immer wieder als Leser von Michel Foucault, sein Projekt die Geschichte der Homosexualität in Chile zu verfassen, konnte er jedoch nicht fertigstellen. Im Zuge des Besuchs von Félix Guattari in Santiago de Chile intervenierte Pedro Lemebel mit dem Essay „Loco Afán“ („wildes Begehren“). Lange vor der Theoretisierung von verschränkter Ungleichheit stellte Lemebel in diesem Essay eine intersektionale und betont autochthone Perspektive auf queere Zugehörigkeit heraus und kritsierte die Ignoranz des Globalen Nordens.Crónicas
Pedro Lemebel schrieb nur einen Roman Tengo miedo torero. Bezeichnenderweise wurde gerade dieser (und nur dieser) ins Deutsche übertragen. Seine crónicas bleiben bis heute unbekannt und wurden bisher nicht übersetzt, obwohl gerade diese für sein Werk prägend sind. Als crónica bezeichnet man kurze journalistische und essayistische Texte, die Parallelen zum Feuilleton aufweisen, aber in Lateinamerika eine eigene Dynamik entwickelten. Pedro Lemebel knüpfte an die Tradition der crónica an, erweiterte diese jedoch signifikant, unter anderem durch die Publikation in Form von Radiosendungen. Pedro Lemebel war so für den feministischen Radiosender Radio Tierra tätig und strahlte einmal wöchentlich im Rahmen der Serie Cancionero seine crónicas aus, die heute noch bei YouTube hörbar sind (siehe Link unten). Die Publikation im Radio war kongruent mit Lemebels politischer Haltung, konnte er so doch schließlich für ein breites Publikum schreiben, das nicht immer alphabetisiert war und die Zeit zum Lesen hatte. Die Ästhetik dieser crónicas und ihre erinnerungspolitische Funktion analysiere ich im unten angeführten Artikel. Dort verfolge ich die These, dass es Lemebel vor allem darum ging, ein Archiv für die Opfer der Dikatur zu erschaffen und an die Orte und Menschen zu gedenken, denen in den offiziellen Erinnerungsdiskursen kein Platz gewährt wurde.
Links und Ressourcen zu Pedro Lemebel
Poetik des Kolibris (Buch)
Buch mit weiterführenden Informationen zur Form der crónica - kostenlos erhältlich als PDF-Datei (Open Access)
Pedro Lemebels crónicas
Unter diesem Link (YouTube) sind die crónicas von Pedro Lemebel auf Radio Tierra hörbar.
Pedro Lemebel in Übersetzung
Im Jahr 2024 ist die erste umfassende Übersetzung der Essays von Pedro Lemebel erschienen.