Archivforschung in Lissabon
Eine Woche lang durfte ich im Portugiesischen Nationalarchiv (Torre do Tombo) für meine Habilitationsschrift forschen und den Spuren von Leonor de Almeida, auch bekannt als Marquesa de Alorna, folgen. Leonor de Almeida (1750–1838) gilt als eine der wenigen bekannten Autorinnen vor 1900, doch auch eine Vielzahl ihrer Schriften wurde bisher nicht ediert und auch nicht archivalisch aufbereitet. Ihre Texte finden sich so im Nachlass des Hauses Fronteira e Alorna, dessen Sommerresidenz in Lissabon auch noch heute besucht werden kann.
Im Zuge meiner Archivreise nach Lissabon konnte ich ein tieferes Verständnis von meinem Material entwickeln und zahlreiche unveröffentlichte vielsprachige Texte von Leonor de Almeida finden. Die Arbeit im Archiv hat damit zunächst einmal eine meiner Vermutungen bestätigt: Leonor de Almeida hat sehr viele Texte auf Französisch, doch auch auf Spanisch, Englisch und mitunter Latein verfasst. Dies ist jedoch aus den wenigen Editionen der Autorin nicht ersichtlich, in denen sich nur sporadisch einzelne Gedichte auf Französisch wiederfinden. Die Arbeit im Portugiesischen Nationalarchiv war auch deshalb so wichtig, weil bisher im Katalog dieser Institution nur ein kleiner Teil ihres Nachlasses eingepflegt wurde. Mit einer Inventarliste, die noch mit Schreibmaschine vermutlich vor Jahrzehnten angefertigt wurde und die digital einsehbar ist, konnte ich mir bereits vor meinem Aufenthalt einen Überblick verschaffen. Vor Ort habe ich mich dann durch die Ordner des bisher größtenteils nicht archivalisch aufbereiteten Materials gearbeitet.
Ausgehend von der Fülle an Material, die ich in einer Tabelle für meine Studie aufbereitet habe, muss Leonor de Almeida also als eine zweisprachige Autorin profiliert werden. Dies hat auch Konsequenzen für ihre disziplinare Verortung: Die Literatur der Marquise de Alorna sollte so auch Gegenstand der Französistik sein.
Dass sich Leonor de Almeida zumindest in Portugal ins kollektive Gedächtnis einschreiben konnte, zeigt sich auch daran, dass unweit der Universidade de Lisboa eine Straße nach ihr benannt wurde. In einer didaktisch aufbereiteten Heftreihe der Nationalbibliothek ist sie neben Florbela Espanca die einzige Autorin, die in einem Jugendbuch dargestellt wird. Als einzig bekannte Autorin an der Schwelle zur Moderne hat sie damit eine Sonderrolle inne. Im Jahre 2024 Lissabon zu besuchen, bedeutet jedoch nicht zuletzt auch, an 50 Jahre Nelkenrevolution zu erinnern.